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Symposiumsbericht I
Expressivität in der »Walküre«. Eine Analyse zeitgenössischer Hörerfahrungen
Autor: Frank Hentschel
Jahr der Veröffentlichung: 2018
Lizenz: CC BY-NC-ND 4.0
Den Beitrag finden Sie hier bei unserem Publikationspartner musiconn.publish
Zusammenfassung
Der Beitrag versteht sich als Teil eines größeren Forschungsprojektes, das Methoden einer historischen Musikpsychologie entwickelt. Es sucht nach Möglichkeiten zu erforschen, wie bestimmte Arten von Musik auf zeitgenössische Hörer wirkten. Da für die historische Forschung keine Probanden mehr zur Verfügung stehen, müssen andere Dokumente herangezogen werden, die in analoger Weise interpretiert werden können und quantifizierbare Aussagen erlauben. Denn eine solche historische Musikpsychologie zielt nicht so sehr auf das individuelle, subjektive Erlebnis einzelner Personen, sondern auf Aussagen, die zumindest im Hinblick auf einen bestimmten historisch-räumlichen Kontext, dessen Befindlichkeiten und kulturelle Codes generalisierbare Aussagen gestatten. Da die Forschung auf historisch überlieferte Quellen angewiesen ist und daher keinen strukturierten, in verschiedener Weise abgesicherten Versuchsaufbau zugrunde legen kann, sind im gleichen Maße textkritisch-hermeneutische Methoden gefragt, die mit den quantitativen Elementen zu kombinieren sind. Das vorliegende Fallbeispiel sucht nach belastbaren Zeugnissen, die Auskunft geben über die Wirkung der Walküre, also die expressiven Qualitäten dieser Oper, wie sie von Zeitgenossen erfahren wurden. Dazu wurden knapp 958 Quellen herangezogen, von denen 24 relevante Aussagen enthielten. Da die Methode auf generalisierbare Aussagen abzielt, wurde eine Signifikanz-Schwelle definiert: Urteile über die expressive Qualität der Musik wurden dann als signifikant erachtet, wenn sie in mindestens drei, unabhängig voneinander entstandenen Zeugnissen vorkommen (und sich nicht aus dem Text des Librettos ableiten lassen). Die Anwendung dieser Methode macht es möglich, über vier Stellen der Oper – den Walkürenritt, das Vorspiel, Wotans Lebewohl mit Feuerzauber und das Liebesduett im ersten Aufzug – zuverlässige Aussagen zu machen, die die expressive Wirkung der entsprechenden Szenenausschnitte betreffen. So lässt sich z. B. zeigen, dass der Walkürenritt als wild und kraftvoll wahrgenommen und als rauschhaft erlebt wurde; darüber hinaus kann die Wildheit als lustvoll und lebensbejahend charakterisiert werden. In einer abschließenden Betrachtung wird auf einen wahrscheinlichen Zusammenhang zwischen dem Erfolg bestimmter Stellen einerseits und der übereinstimmenden expressiven Charakterisierung dieser Stellen andererseits hingewiesen, d. h. dort, wo mindestens drei Zeugnisse von der Wahrnehmung derselben expressiven Qualitäten berichten, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Stellen beim Publikum beliebt waren, größer als dort, wo keine übereinstimmenden Zeugnisse vorliegen. Dies deutet darauf hin, dass Stärke und Eindeutigkeit der expressiven Qualitäten der Musik mit ihrer Beliebtheit korreliert.
Beitrag zum Symposium Wagner-Lesarten – Richard Wagners »Der Ring des Nibelungen« im Blickfeld der ›Historischen Aufführungspraxis‹ am 29. September 2017 in der Universität zu Köln.